«Dr. med. Colette C. Camenisch gewährt in ihrem Buch einen eindrucksvollen Blick hinter die Kulissen der plastischen Chirurgie – weit mehr als ein blosser Karrierebericht. Als Pionierin in einer männerdominierten Domäne schildert sie mit bemerkenswerter Offenheit ihren Werdegang, geprägt von Leidenschaft und Beharrlichkeit. Die Biografie ist ehrlich und berührt, frei von Selbstbeweihräucherung, dafür gespickt mit spannenden, inspirierenden Anekdoten. Besonders gelungen sind die erhellenden Patientenberichte, die von der Entscheidungsfindung über Operationen bis zur postoperativen Phase reichen. Camenisch räumt einfühlsam mit Klischees auf und vermittelt eine neue, respektvolle Sicht auf ästhetische Chirurgie als Kunsthandwerk. Dieses Buch ist gleichermassen Biografie, Aufklärungswerk und emotionaler Ratgeber – ein faszinierendes Leseerlebnis. Bravo!»
«Dieses Buch liefert einen ehrlichen Einblick in den nicht immer gradlinigen Werdegang einer engagierten Chirurgin, und dies in einer Männerdomäne. Hauptsächlich erfährt man jedoch, wie Handwerk in der plastischen Chirurgie zur Kunst wird und betroffenen Menschen ein neues Lebensgefühl schenken kann.»
So ging ich tagsüber an die Uni oder ins Spital und nachts arbeitete ich Schicht, Es war hart. Ich kämpfte. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass sich Durchhaltewillen und Einsatz in diesen Ausbildungsjahren auszahlen.In diesem Alter ist jeder extrem leistungsfähig. Und die Arbeit neben dem Studium hatte nebst dem Umstand, dass ich Geld verdiente, auch einen weiteren wertvollen Effekt: Ich hatte engen Kontakt zu Patientinnen und Patienten.Ich hatte ja bereits in meinem «Häfeli-Praktikum» Patienten betreut, nun kam mit den Kindern im Heim eine weitere wichtige Erfahrung dazu.Im Gegensatz zu manch anderen Medizinstudenten hatte ich auf diese Weise sehr früh die Möglichkeit, meine Sozialkompetenzen im Umgang mit kranken oder behinderten Menschen zu entwickeln.
Medizin, das bedeutet für mich alles, was im anatomischen, histologischen und psychologischen Bereich der Menschen stattfindet. Es bedeutet auch das Austüfteln von Lösungen bei medizinischen Problemen. Einen Weg dorthin zu finden. Den Austausch mit den Patienten. Menschen wieder gesund zu machen. Und ich hatte grosses Glück, dass es unter meinen Professorinnen und Professoren einige herausragende Lehrmeister gab. Phantastische Ärzte, die mich gefordert und gefördert und dadurch massgeblich geprägt haben.
Da war zum Beispiel im zweiten Studienjahr Frau Professorin Mirjana Manestar.Ungarin und hervorragende Anatomin, bestens geschult, intelligent. Eine Koryphäe, die sich in dieser Zeit in einer Männerwelt durchsetzte und sich Respekt verschaffte. Sie war es, die mich im zweiten klinischen Jahr völlig auf gelöst vor dem Präparationssaal vorfand. Also jenem weissgekachelten Saal, in dem auf Edelstahltischen menschliche Leichen liegen. Körperspenden, an denen angehende Studenten den menschlichen Körper sezieren und dessen Anatomie kennenlernen. Weil wir für die praktischen Kurse nach dem Alphabet eingeordnet wurden und ich Camenisch heisse, hatten wir auffällig viele Bündner an unserem Tisch. Alle, die eben mit C begannen: Camenisch, Caduff und Caflisch. Tisch 16. Wir standen darum herum, es hiess, ich solle das Skalpell ansetzen und den ersten Schnitt machen. Und was tat ich?Ich konnte nur immer an diesen verstorbenen Mann denken, der da vor mir lag. Wie war wohl sein Leben verlaufen? Dann kippte ich am Seziertisch einfach um. Meine Empathie, die mir im Umgang mit meinen Patientinnen und Patienten später so helfen sollte, war an Tisch 16 noch nicht gefragt.
Die Leichname im Präparierkurs werden mit Formaldehyd konserviert. Das produziert einen eigenen, sehr strengen, beissend-süsslichen Geruch. Dies machte das Sezieren noch schwieriger. Auch beim zweiten Versuch, mich wieder am Tisch einzureihen, hatte es mich umgehauen. Und nun hockte ich ein zweites Mal ausserhalb des Saals. Dabei hatte ich doch einen Traum, wollte Chirurgin werden. Endlich hielt ich ein Skalpell in der Hand - und nun das! Ich war nicht einmal fähig, eine Leiche aufzuschneiden. Ich dachte wirklich, mein Traum sei geplatzt. Die Tränen rannen. So fand mich Professorin Mirjana Manestar vor. «Warum sitzen Sie hier?», wollte sie wissen.«Ich bin schon zweimal umgekippt», schluchzte ich. «Kein Problem, wenn Sie nicht Chirurgin werden wollen», sagte sie beruhigend. «Das will ich aber!», heulte ich. Sie holte Luft, sah mich scharf an und meinte dann knapp: «Dann haben wir ein Problem.»Sie erklärte mir, wie ich mit einer solchen Situation umgehen könnte. Ich solle mir klar machen, dass der Mann seinen Körper ja freiwillig zur Verfügung gestellt habe, weil er angehenden Medizinern helfen wolle, ihr Handwerk zu lernen. Dass er stolz darauf sei. Und natürlich, dass er den Schmerz nicht spüre. Sie nahm mich am Arm, ging mit mir zurück zum Tisch und blieb neben mir stehen. «So, Frau Doktor, jetzt reissen Sie sich zusammen und machen das. Es ist der Beginn ihrer Karriere.» Sie schaute mir lange zu, klopfte mir dann auf die Schultern und sagte: «Sie sind die geborene Chirurgin!» Das war so rührend. Ich sah Mirjana Manestar dann später bei Weiterbildungen wieder. «Ich erinnere mich an Sie», sagte sie, «Tisch 16. Sie waren etwas zart besaitet.» Ich musste lachen. Ja, das war ich.
Etwas nervös sitzt sie an diesem heissen Julitag auf der Terrasse vor dem Café, das sie für das Interview vorgeschlagen hat. Sie erhebt sich und drückt rasch noch die angefangene Zigarette aus, iBuntes, weit geschnittenes Sommerkleid, die langen roten Haare am Hinterkopf zusammengebunden. Turnschuhe.Andrea wirkt auf den ersten Blick so gar nicht wie eine Frau, die in den vergangenen 20 Jahren gesundheitlich durch die Hölle gegangen ist. Nur ein geübtes Auge bemerkt, dass sie leicht vornübergebeugt, eher vorsichtig läuft.
Für das Gespräch schlägt sie einen ruhigen Tisch im Inneren des Cafés vor.Dort sei es schön ruhig und vor allem etwas kühler. Bei Coca-Cola mit Eis spricht die 61-Jährige dann über das, was ihr seit ihrer Jugend widerfahren ist. Skoliose, Polyarthritis, Bandscheibenvorfall, Wirbelsäulenoperationen, ein Kaiserschnitt mit schweren Komplikationen: eine fast unglaubliche Krankengeschichte und Erlebnisse mit medizinischen Einrichtungen betrifft, kann sie locker aus dem Vollen schöpfen. Sie berichtet wortreich und lebhaft davon, immer wieder unterbrochen von ihrem ansteckenden, rauen Lachen.Schief sei sie, erzählt sie gelassen, die eine Schulter sei höher als die andere, der Brustkorb etwas verdreht. Lückenlos erzählt sie von ihrer Kranken-geschichte, die mit 14 Jahren beginnt. Neben der jahrzehntelangen Odyssee durch Krankenhäuser und Sprechzimmer von Arztpraxen gibt es aber auch etwas Positives zu berichten: Seit gut einem Jahr ist Andrea stolze Besitzerin von neuen Brüsten. Das sind die Good News.
Im Frühjahr 2023 wird die Brustverkleinerung in der Zürcher Klinik im Park durchgeführt. Für die operationserprobte Aargauerin ist die dreistündige Prozedur im Vergleich zu den Eingriffen an der Wirbelsäule fast ein Klacks.«Peanuts», wie sie es ausdrückt. «Ich hatte fast keine Schmerzen und war ganz schnell wieder fit», sagt sie. Die Euphorie über das Ergebnis sei eben im Vordergrund gestanden, da hätten sich Schmerzen leicht verdrängen lassen.«Ich hatte solche Freude, dass ich es endlich gemacht habe.» Sie habe voll und ganz auf die Kompetenz ihrer Chirurgin vertraut, sei sich sicher gewesen, dass es gut kommen würde.
Unter den Händen von Colette Camenisch werden insgesamt 2 Kilogramm Brustgewebe entfernt. Es ist ein so grosser und wichtiger medizinischer Ein-griff, die Brüste so viel zu schwer, dass die Krankenkasse ohne Probleme die Kosten der Verkleinerung übernimmt. Als Andrea aus der Narkose aufwacht, fühlt sie sich wie befreit. Buchstäblich erleichtert. Das Aufstehen geht plötzlich ganz einfach. Da ist kein Rucksack mehr. Sie ist glücklich, und das «bis zum heutigen Tag», bekräftigt sie an diesem heissen Sommertag im Juli 2024. Sie hat noch einmal 10 Kilo abgespeckt und geniesst das neue Körpergefühl.«Ganz ehrlich», resümiert sie, «ich hätte diesen Eingriff schon vor langer Zeit mit viel mehr Vehemenz einfordern sollen.» Zum verabredeten Café hat sie ihr Mann gefahren. Doch kurze Wege meistert sie mittlerweile auch ohne Krücken oder Rollator.